Rheinische Post, 21. August 2017
Viersen
Viele Zuschauer im Atelier
unter freiem Himmel
Viersen. Die vierte Auflage von "Viersen open art" im Lyzeumsgarten
fand großen Zuspruch
Von Sigrid Blomen-Radermacher
40 Kreative und ihre Arbeiten in weißen Pavillons: Manche Bilder aufgehängt an Seilen,
Skulpturen präsentiert auf der Wiese des Lyzeumgartens. Sprayer, die an großen Formaten arbeiten, Livemusik etwa von Rudi Linges und den Musikschülern von Tommys Workshop. Speisen und Getränke,
jede Menge kunstinteressierter Flaneure unter Sonne, Wolken und Wind - das ist open art 2017 in Viersen.
Zum vierten Mal haben die Organisatoren um Uwe Peters diese Kunstaktion auf die Beine gestellt,
Schirmherr ist Stefan Kaiser. Die Intendantin Sabine Schumacher hat die Teilnehmer ausgesucht. Für jeden Geschmack und jeden Geldbeutel ist etwas dabei.
Man mag zweifeln an einem Konzept, bei dem Öl- und Acrylbilder, Zeichnungen und Fotografien einfach ins Freie gebracht werden, bei dem nicht unterschieden wird zwischen einem professionellen
Künstler und jemandem, der in seiner freien Zeit kreativ arbeitet - doch der Zuspruch bestätigt diese Form von Kunstpräsentation.
Und so kann der Interessierte an den Skulpturen aus Stahl und den Köpfen von dem früheren
Viersener Bürgermeister Günter Thönnessen vorbeiwandern, ins Gespräch mit dem Künstler kommen. Er kann mehrfach einen Einblick nehmen in die Ideen der "lost places"-Fotografie. Zum Beispiel mit
Thomas Gerwert und Olaf Rauch. Beide sind dem Reiz des Verlassenen, Maroden erlegen, eines Gebäudes, das langsam von der Natur übernommen wird, von Räumen, in denen allmählich
alles verfällt, nur der Flügel zeugt noch von früherem Glanz.
"Strukturen" zeigen die Fotografien von Marguen Binzen aus Kempen. Ganz nah geht sie an die Motive heran, unbearbeitet druckt sie sie aus - und der Betrachter fängt an zu rätseln: Was war das,
bevor es aufs Foto gebannt wurde? Er kann es nur ahnen - und das ist Binzens Wunsch.
Holger Mischke zeigt beeindruckende Fotografien in schwarz-weiß, zu denen er poetische Texte
präsentiert. Anders Susanne Kuwig: Sie malt farben- und lebensfrohe Bilder, abstrakt, gegenständlich. Auch die Viersenerin Iris Dickhof zeigt Malerei. Auch sie arbeitet sowohl gegenständlich als
abstrakt, spielt mit harmonierenden, erdigen Farbtönen und Collage-Elementen.
Neue Kunstschaffende sind hinzugekommen, wie die Erwähnten, bekannte sind geblieben:
etwa der Schirmherr von 2015, Emil Schult, oder Günter Thönnessen. Und auch Schirmherr Stefan Kaiser zeigt seine Arbeiten: seine wunderbaren beschriebenen Wolkenarbeiten.
Quelle: RP
Die Bäume vor dem Gewächshaus geben die Breite der Textspalten
vor, die in den Himmel führen. Ohne Punkt und Komma hat
Stefan Kaiser eine Auseinandersetzung mit dem Schicksal des
Gemüses hineingeschrieben. RP-Fotos (2): Busch
Des Kaisers Kuriositätenkabinett
Im Lyzeumsgarten hinter der Festhalle stellen Künstler am Sonntag bei „Viersen openart“ aus. Schirmherr der Veranstaltung ist in diesem Jahr Stefan Kaiser. Sein Atelier
gleicht einer Wunderkammer
VON BIRGITTA RONGE
VIERSEN In der Ecke, fast verborgen, steht ein Brettchen. Ins Holz eingebrannt steht darauf: „Hier malt der Kaiser.“ Das Brettchen ist Teil des Sammelsuriums, mit dem sich Stefan
Kaiser bei seiner täglichen Arbeit umgibt. An der Wand hängen Fotos, die seine Eltern zeigen, den Künstler Hanns-Josef und die Fotografin Ruth Kaiser, sowie seine Lehrer an
der Kunstakademie in Düsseldorf, Joseph Beuys und Erwin Heerich. Ein Rosenkranz baumelt über dem völlig zersplitterten Außenspiegel eines Autos. Kleine Plastikteile in
Blautönen liegen so sorgsam nebeneinander drapiert auf einer Kiste, als handele es sich um die Schmuckauslage eines Juweliers.
Daneben liegen Boulekugeln aus Holz, die einst vollständig mit Eisennägeln beschlagen waren („Boules cloutées“). Nun, da der Lauf der Zeit sie beschädigt hat, das Holz
gesplittert ist, ein Teil der Eisennägel abgefallen, findet Kaiser sie interessant. Wie die Kugeln führten auch einzelne Fundstücke zur künstlerischen Bearbeitung, so
1995, als Kaiser ein Jahr lang Kleinteile zum „Fundstück der Woche“ erhob.
Der Künstler sitzt am Schreibtisch und radiert. Nach und nach und nach verschwinden die Bäume, die er gezeichnet hat, unter den heftigen Strichen des Radiergummis. Kaiser braucht
das Papier, doch nicht mehr die Bäume. Die Zeichnung hat er fotografiert, um die Bäume am Computer mit einem Himmel zu vereinen, den er ebenfalls fotografiert hat. Das sieht
schließlich so aus, als würden die nach oben offenen Äste der Bäume in den Himmel hineinfließen – oder der Himmel in sie. Wo Erde aufhört und Himmel beginnt, bleibt unklar.
Unterwegs mit der Kamera sammelt der 65-Jährige Wolkenformationen – lichte Himmel, dräuende Himmel, „keine Sonnenuntergänge“, sagt Kaiser, „das wäre mir dann doch zu
kitschig. Ich bin eher in Grautönen unterwegs“. Entsprechend gibt es in der Schublade der Farbstifte auch zwölf verschiedene Grautöne.
Bei einem seiner Streifzüge entdeckte er zwischen Dülken und Schwalmtal auch die langgestreckten Gewächshäuser, die er digital weiterbearbeitete. Unter dem Titel
„Landschaft 2 bis 3“ huschen nun die blau-grauen Wolken über die Glasdächer, nebenan gibt es nichts mehr. Kaiser hat die Gewächshäuser in eine von allen Ablenkungen befreite
Landschaft befördert. Und dennoch zwingt der Künstler den Betrachter, ganz nah an dieses Bild heranzugehen. Denn er hat mit dem akkuraten Strich des Zeichners den Himmel
vollgeschrieben, in Spalten, deren Breite durch den Abstand der Bäume vor dem Gewächshaus vorgegeben wird. Von den Bäumen ausgehend ragen hier Kaisers Gedanken in den Himmel
hinein, eine Auseinandersetzung mit dem Schicksal des Gemüses ohne Punkt und Komma. „Hinterglaspflanzen bereit zum Abmarsch“ steht da beispielsweise und: „Unbotmäßiges
Wachstum wird mit Wegschmeißen bestraft“.
Was der Künstler in seine Himmelsbilder hineinschreibt, überlässt er für gewöhnlich dem Zufall, „das sind spontane Ideen, das ist wie automatisches Schreiben“. Die Schrift wird
zum formalen Element, zur Schraffur, die ihren Inhalt erst beim genauen Hinsehen offenbart. Kein Wunder, dass Kaiser in seinem Atelier zwar gern leise klassische Musik hört,
etwa von Bach, Mozart oder Schubert, diese aber ohne Gesang auskommen muss: „Wenn Worte darin vorkämen, würde mich das gedankenmäßig aus dem Tritt bringen.“
INFO
Rund 40 Künstler im Lyzeumsgarten
Termin Stefan Kaiser ist Schirmherr der Kunstausstellung „Viersen openart“, die am Sonntag, 20. August, stattfindet. Von 10 bis 17 Uhr stellen rund 40 Kunstschaffende im
Lyzeumsgarten hinter der Festhalle aus. Auch einige von Kaisers Himmelsbildern sind zu sehen.
Ein Foto der Eltern, Fundstücke und alte Boulekugeln.